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Foto: Sigrun Strangmann
#Bremer Köpfe
5. November 2017

„Den Bremer kriegt man nicht raus“

Bremer Köpfe: Sven Regener im Interview

Eigentlich ist der am 1. Januar 1961 in Bremen geborene Sven Regener Trompeter und Sänger der Band Element of Crime („Delmenhorst“). Als Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki 2001 im literarischen Quartett jedoch zugab, beim Lesen von „Herr Lehmann“ – Regeners Erstlingswerk – „schallend gelacht“ zu haben, gelang dem heute 56-Jährigen auch der literarische Durchbruch. Es folgte mit „Neue Vahr Süd“ ein Roman über die Heimatstadt sowie diverse andere Werke. Im vergangenen Monat erschien mit „Wiener Straße“ das mittlerweile achte Buch des Autors, indem er sich der Kunstszene Westberlins der 80er Jahre widmet. Im Interview spricht Regener unter anderem über die Entstehung des Buches, seine Romanverfilmungen sowie die nötige Distanz zu seinen Figuren.

Eigentlich ist der am 1. Januar 1961 in Bremen geborene Sven Regener Trompeter und Sänger der Band Element of Crime („Delmenhorst“). Als Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki 2001 im literarischen Quartett jedoch zugab, beim Lesen von „Herr Lehmann“ – Regeners Erstlingswerk – „schallend gelacht“ zu haben, gelang dem heute 56-Jährigen auch der literarische Durchbruch. Es folgte mit „Neue Vahr Süd“ ein Roman über die Heimatstadt sowie diverse andere Werke. Im vergangenen Monat erschien mit „Wiener Straße“ das mittlerweile achte Buch des Autors, indem er sich der Kunstszene Westberlins der 80er Jahre widmet. Im Interview spricht Regener unter anderem über die Entstehung des Buches, seine Romanverfilmungen sowie die nötige Distanz zu seinen Figuren.

Wie ist die Idee zu „Wiener Straße“ entstanden?

Eigentlich hatte ich so etwas wie eine Situationskomödie geplant. Ich dachte dabei an eine Fernsehserie oder ein Theaterstück. Deshalb habe ich die Dialoge auch auf so eine drehbuchartige Weise skizziert.

Und dann ist es doch ein Roman geworden …

Ja, weil man da dann doch mehr über die Hintergründe und die Gedanken der Protagonisten erfährt. Ich habe zu dem Zeitpunkt gerade das Drehbuch zu „Magical Mystery“ geschrieben und mir war dabei aufgefallen, wie viel dann doch verloren geht.

Sie haben, wie gerade angesprochen, für den Film „Magical Mystery“ auch das Drehbuch geschrieben. Wie ist es, seinen eigenen Roman sozusagen für den Film zu übersetzen?

Das ist gar nicht so schwer, schließlich hat man als Autor ja eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was passiert. Das Problem dabei ist die Länge, da man auch schon mal auf komplette Handlungsstränge verzichten muss, wenn man keinen Film mit extremer Überlänge produzieren will. Deshalb habe ich das bei „Neue Vahr Süd“ zum Beispiel gar nicht erst versucht, weil mir das in dem Fall viel zu schmerzhaft gewesen wäre.

Wie ist es für Sie, einen Film nach Ihrer Romanvorlage anzuschauen?

Interessant ist vor allem, wie sich das Ganze dann tatsächlich in gespielter Form darstellt. Schließlich ist man nicht der Regisseur. Das führt dann unter Umständen dazu, dass es ganz anders ist als man sich das eigentlich vorgestellt hat. Nicht unbedingt schlecht, aber interessant – und teilweise auch verstörend.

Sollte man als Autor an seine Romanverfilmungen völlig unvoreingenommen rangehen und kann das auch schon mal wehtun?

Man kann gar nicht unvoreingenommen da ran gehen und natürlich tut das auch manchmal weh. Und manchmal braucht man auch ein paar Jahre Abstand. Letztendlich muss sich ein Film aber nicht vor dem Autoren rechtfertigen, sondern ist ein eigenes Werk. Das Ganze kann auch sehr bereichernd sein, weil die Arbeit von anderen Leuten am selben Thema durchaus dazu führen kann, einen anderen Blickwinkel auf die Sache zu bekommen. Am schmerzhaftesten war für mich sicher „Neue Vahr Süd“, weil es keine Verfilmung des Buches ist, sondern der Film eher nach Motiven des Buches gedreht wurde.

Warum so schmerzhaft?

Weil die ganze Zerrissenheit der Hauptfigur Frank Lehmann, der von Montag bis Freitag Soldat ist und am Wochenende in einer Anarcho-WG im Bremer Viertel lebt, gar nicht herauskommt. Das war bei 90 Minuten vielleicht aber auch nicht möglich oder nicht gewollt. Deshalb ist fast die komplette Bundeswehr-Geschichte durch das Rost gefallen. Und mit der Neuen Vahr Süd, so wie es sie in Bremen gab und gibt, hat der Film auch nicht wirklich viel zu tun. Auf der anderen Seite macht es das Weglassen dieser Dinge natürlich zu einem viel eigenständigeren Film. Wodurch er für mich auch wieder viel erträglicher wird. Ein dialektischer Prozess.

Ihr aktuelles Werk „Wiener Straße“ spielt – ähnlich wie bei „Herr Lehmann“ oder „Der kleine Bruder“ im Berlin der 80er Jahre. Was fasziniert so an dieser Zeit?

So speziell eigentlich nichts. Es ist einfach die Zeit, in der diese Geschichte spielt. Die Protagonisten sind sehr jung. Alle so um Anfang 20, Chrissie sogar erst 18. Zu der Zeit war ich auch in dem Alter, also fiel es mir entsprechend leicht, mich in sie reinzuversetzen. Es hat mir auch Spaß gemacht, mich wieder daran zu erinnern. Es ist sozusagen ein historisches Buch, denn es spielt in einer vergangenen Welt. Aber es ist eine Welt, die ich noch miterlebt habe und bei der der zeitliche Abstand die Distanz geschaffen hat, die man braucht, um einen richtigen Überblick über die Sache zubekommen.

Wie wichtig ist Ihnen diese Distanz in Ihren Romanen?

Ich glaube, dass eine gewisse Distanz für den Autor sehr wichtig ist, damit er sich nicht zu sehr in das Spiel der Figuren und die Geschichte einmischt. Und dafür, dass man nicht wertend eingreift. Eine Sache, die ich sowieso ablehne. Die Leute in den Büchern reden ja miteinander und die werten dann natürlich auch. Dadurch prallen unterschiedliche Lebensauffassungen aufeinander – aber sonst wäre es ja auch langweilig.

Deshalb auch die unterschiedlichen Erzählperspektiven in „Wiener Straße“?

Ja, es gibt bis zu acht Personen die teilweise dieselben Dinge erleben und ganz anders interpretieren und beobachten. Das macht aus meiner Sicht aber nur Sinn, wenn man sie nicht gleich von Beginn an unterteilt in die, die Recht haben und die, die Unrecht haben. Und es ist doch viel besser, wenn ich als Leser selber frei bin zu bewerten.

In vielen Ihrer Romane, wie auch beim aktuellen, haben Sie den eigentlich grundsoliden und bodenständigen Frank Lehmann in eine Art Löwenkäfig aus Kulturschaffenden und anderen Freaks geworfen. War es eigentlich gleich klar, dass Frank Lehmann ein Bremer sein musste?

Ich habe lange genug in Bremen gelebt und bin auch noch oft genug dort, um zu wissen, dass es auch in Bremen jede Menge Freaks gibt. Da muss man sich wirklich keine Sorgen machen. Ich habe in meinem ganzen Leben eigentlich nur in drei Städten – in Bremen, in Hamburg und in Berlin – gelebt. In Hamburg war die kürzeste Zeit, in Berlin die längste und in Bremen wahrscheinlich die wichtigste, weil es die ersten 20 Jahre meines Lebens waren. Und so banal das klingt: da war es doch nur logisch, dass wenn ich einen nach Westberlin Zugezogenen habe, dieser aus Bremen kommt. Frank Lehmann ist sicherlich nicht der ideelle Gesamtbremer. Aber man kann bei ihm schon gut nachvollziehen, dass er dort aufgewachsen ist …

In Ihren Romanen spielt die Kunstszene eine große Rolle. Zudem setzen Sie sich darin auch immer wieder mit dem Kunstbegriff auseinander. Würden Sie sich selbst als Künstler oder als Autoren und Musiker bezeichnen?

Musiker und Autoren sind auch Künstler. Wenn jemand ein Bild malt, ist das automatisch Kunst. Es spielt dabei gar keine Rolle, ob es gute oder schlechte Kunst ist. Oder ob sich das verkaufen lässt. Ich bin da Pragmatiker, für mich ist Kunst auch nichts Weihvolles.

Ist bei Ihnen noch Platz für einen zweiten Bremen-Roman à la „Neue Vahr Süd“?

Ich denke schon. Wobei es darauf ankommt ist, erst einmal überhaupt eine Idee für einen Roman zu haben. Und es dürfte ja nicht irgendeine Idee sein, sondern es müsste eine gute sein, so dass man bereit ist, eineinhalb bis zwei Jahre in einen solchen Roman zu investieren. Denn das Schlimmste, was einem passieren kann, ist doch, dass man nach einem halben Jahr merkt, dass die Idee gar nicht so gut war.

Was auffällt, wenn man sich mit Ihnen unterhält oder Sie bei Lesungen hört, ist, dass obwohl Sie seit mehr als 35 Jahren nicht mehr an der Weser wohnen noch immer sehr bremisch klingen …

Das ist aber auch kein Wunder, da ich bis 1981 in Bremen gelebt habe. Das ist die Zeit, in der man geprägt und in der die Sprache geformt wird. Ich lebe seit über 30 Jahren in Berlin, würde aber nie behaupten, dass ich ein Berliner sei. Ich habe mich immer als Bremer gesehen, der in Berlin wohnt. Den Bremer kriegt man nicht raus. Ich würde sogar soweit gehen, dass man Bremen-Ost nicht herauskriegt.

Sie waren 2016 sogar Bremer Grünkohl-König …

Das stimmt. Den Titel bekam ich in der „Roland-Runde“ der Bremischen Landesvertretung in Berlin verliehen, bei der es traditionell Kohl und Pinkel gibt. Allerdings hatte das überhaupt keine Konsequenz. Ich bekam ihn verliehen und gab ihn ein Jahr später an Sabine Postel wieder ab. Dazwischen passierte nichts.

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